Part 63 (1/2)
Was ist die Welt, und ihr beruhmtes Glantzen?
Was ist die Welt und ihre gantze Pracht?
Ein schnoder Schein in kurtzgefasten Grentzen, Ein schneller Blitz, bey schwarzgewolckter Nacht; Ein bundtes Feld, da k.u.mmerdisteln grunen; 5 Ein schon Spital, so voller Kranckheit steckt.
Ein Sclavenhauss, da alle Menschen dienen, Ein faules Grab, so Alabaster deckt.
Das ist der Grund, darauff wir Menschen bauen, Und was das Fleisch fur einen Abgott halt. 10 Komm, Seele, komm, und lerne weiter schauen, Als sich erstreckt der Zirckel dieser Welt.
Streich ab von dir derselben kurtzes Prangen, Halt ihre l.u.s.t fur eine schwere Last.
So wirst du leicht in diesen Port gelangen, 15 Da Ewigkeit und Schonheit sich umbfast.
+2+
+Die Woll.u.s.t.+
Die Woll.u.s.t bleibet doch der Zucker dieser Zeit, Was kan uns mehr, denn sie, den Lebenslauf versussen?
Sie la.s.set trinckbar Gold in unsre Kehle fliessen, Und offnet uns den Schatz beperlter Liebligkeit, In Tuberosen kan sie Schnee und Eiss verkehren, 5 Und durch das gantze Jahr die Fruhlings-Zeit gewehren.
Es schaut uns die Natur als rechte Kinder an, Sie schenckt uns ungespart den Reichthum ihrer Bruste, Sie offnet einen Saal voll zimmetreicher l.u.s.te, Wo aus des Menschen Wunsch Erfullung quellen kan. 10 Sie legt als Mutter uns die Woll.u.s.t in die Armen, Und la.s.st durch Lieb und Wein den kalten Geist erwarmen.
Nur das Gesetze wil allzu tyrannisch seyn, Es zeiget iederzeit ein widriges Gesichte, Es macht des Menschen l.u.s.t und Freyheit gantz zunichte, 15 Und flost fur sussen Most uns Wermuthtropffen ein; Es untersteht sich uns die Augen zu verbinden, Und alle Liebligkeit aus unser Hand zu winden.
Die Ros' entblosset nicht vergebens ihre Pracht, Jessmin will nicht umsonst uns in die Augen lachen, 20 Sie wollen unser l.u.s.t sich dienst- und zinsbar machen, Der ist sein eigen Feind, der sich zu Plagen tracht; Wer vor die Schwanenbrust ihm Dornen will erwehlen, Dem muss es an Verstand und reinen Sinnen fehlen.
Was nutzet endlich uns doch Jugend, Krafft und Muth, 25 Wenn man den Kern der Welt nicht reichlich will genussen, Und dessen Zucker-Strom la.s.st unbeschifft verschussen?[1]
Die Woll.u.s.t bleibet doch der Menschen hochstes Gut, Wer hier zu Seegel geht, dem wehet das Gelucke Und ist verschwenderisch mit seinem Liebesblicke. 30
Wer Epicuren nicht fur seinen Lehrer halt, Der hat den Welt-Geschmack und allen Witz verloren, Es hat ihr die Natur als Stiefsohn ihn erkoren, Er mus ein Unmensch seyn und Scheusal dieser Welt; Der meisten Lehrer Wahn erregte Zw.a.n.g und Schmertzen, 35 Was Epicur gelehrt, das kitzelt noch die Hertzen.
[Notes: 1: _Verschussen_ = _verfliessen_.]
+3+
+Die Tugend.+
Die Tugend pflastert uns die rechte Freudenbahn, Sie kan den Nesselstrauch zu Lilgenblattern machen, Sie lehrt uns auf dem Eiss und in dem Feuer lachen, Sie zeiget, wie man auch in Banden herrschen kan; Sie heisset unsern Geist im Sturme ruhig stehen, 5 Und wenn die Erde weicht, uns im Gewichte gehen.
Es giebt uns die Natur Gesundheit, Krafft und Mut, Doch wo die Tugend nicht wil unser Ruder fuhren, Da wird man Klippen, Sand und endlich Schiffbruch spuren.
Die Tugend bleibet doch der Menschen hochstes Gutt; 10 Wer ohne Tugend sich zu leben hat vermessen, Ist einem Schiffer gleich, so den Compa.s.s vergessen.
Gesetze mussen ja der Menschen Richtschnur seyn.
Wer diesen Pharus ihm nicht zeitlich will erwehlen, Der wird, wie klug er ist, des Hafens leicht verfehlen, 15 Und lauffet in den Schlund von vielen Jammer ein; Wem l.u.s.t und uppigkeit ist Fuhrerin gewesen, Der hat fur Leitstern ihm ein Irrlicht auserlesen.
Diss, was man Woll.u.s.t heisst, verfuhrt und liebt uns nicht, Die Kusse, so sie giebt, die triffen von Verderben, 20 Sie last uns durch den Strang der zartsten Seide sterben, Man fuhlet, wie Zibeth das matte Herze bricht, Vergifter Hypocras[2] will uns die Lippen ruhren, Und ein ambrirte[3] l.u.s.t zu Schimpf und Grabe fuhren.
Die Tugend druckt uns doch, als Mutter, an die Brust, 25 Ihr Gold und edler Schmuck halt Farb und auch Gewichte, Es leitet ihre Hand uns zu dem grossen Lichte, Wo sich die Ewigkeit vermahlet mit der l.u.s.t; Sie reicht uns eine Kost, so nach dem Himmel schmecket, Und giebt uns einen Rock, den nicht die Welt beflecket. 30
Die Woll.u.s.t aber ist, als wie ein Unschlichtlicht, So h.e.l.le Flammen giebt, doch mit Gestanck vergehet.